„Elektromobilität ist im Alltag angekommen“

Interview mit Prof. Dr. Henning Kagermann, Vorsitzender der im September 2018 ins Leben gerufenen Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM)

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© acatech

Bis 2030 sollen laut Klimaschutzprogramm der Bundesregierung in Deutschland 7 bis 10 Millionen Elektroautos unterwegs sein. Dieses Ziel erachtet die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) mit ihrem Vorsitzenden Henning Kagermann als ambitioniert, aber durchaus machbar.

Wo steht die Elektromobilität aktuell?

Prof. Kagermann: Im Jahr 2020 gehört die Elektromobilität vielerorts zum Alltag. In der Öffentlichkeit werden Fahrzeuge wie E-Scooter, E-Bikes, E-Autos, E-Busse, E-Transporter und die dazugehörigen Ladeinfrastrukturen immer sichtbarer. Die Weichen für einen erfolgreichen Einstieg in den Massenmarkt sind gestellt. Die Automobilhersteller erweitern jetzt kontinuierlich ihr Angebot an E-Fahrzeugmodellen, mit denen sie die Alltagsanforderungen ihre Kunden bedienen können. Bis 2023 werden über 150 E-Modelle von deutschen Herstellern verfügbar sein. Die Politik hat in den vergangenen Jahren zudem umfangreiche Förderprogramme auf den Weg gebracht, die den Kauf von E-Fahrzeugen sowohl für den privaten als auch den gewerblichen Einsatz finanziell und steuerlich unterstützen.

Mit dem Masterplan Ladeinfrastruktur hat die Bundesregierung zudem ein umfangreiches Maßnahmenpaket zum Ausbau der Ladeinfrastruktur verabschiedet. Bis 2030 sollen eine Million Ladepunkte installiert sein. Derzeit gibt es bundesweit rund 24.000 öffentliche Ladepunkten, an denen die über 300.000 zugelassene E-Fahrzeuge laden können. Der Anteil der Schnelllader liegt bei 15 Prozent. Bis Ende 2021 sollen die öffentlich zugängliche Ladepunkte auf 50.000 steigen. Die Automobilwirtschaft wird bis 2022 mindestens 15.000 Ladepunkte beisteuern. Die Energiewirtschaft wird sich beim Ausbau ebenfalls weiter engagieren. Parallel werden Anstrengungen bei berührungslosem (induktiven) und ultra-schnellem Laden vorangetrieben.

Welche Themen bestimmten neben der Elektromobilität die Zukunft der Mobilität?

Prof. Kagermann: Aktuell wirkt eine Vielzahl von Faktoren auf das Mobilitätssystem ein, die mit tiefgreifenden strukturellen Veränderungen einhergehen. Deshalb ist ein ganzheitlicher Blick so entscheidend. Gesellschaftliche Entwicklungen, etwa sich verändernde Mobilitätsbedürfnisse, die zunehmende Vernetzung aller Lebensbereiche sowie die Notwendigkeit für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor spielen eine treibende Rolle. Hinzu kommen technologische Innovationen und Entwicklungen im Bereich alternativer Antriebstechnologien und Kraftstoffe sowie im Bereich der Digitalisierung und Automatisierung. Nicht zuletzt geht es um die Sicherung des deutschen Automobil- und Produktionsstandorts mit seinen Arbeitsplätzen und seiner Wirtschaftskraft. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu erhalten, bedarf es technischer Rahmenbedingungen wie Standardisierung und Normung, die Qualität, Sicherheit und Benutzbarkeit gewährleisten und getätigte Investitionen schützen.

Unumstritten ist, dass Mobilität unabdingbarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ist und deshalb weiterhin allen Menschen – unabhängig vom sozialen Status – zugänglich sein muss. Es gilt, ein zukunftsorientiertes Mobilitätssystem zu schaffen, das ökologisch, ökonomisch und sozial ausgewogen ist. Der Erfolg wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit neue Mobilitätsformen und -lösungen akzeptiert werden und den Lebenswirklichkeiten der Menschen und ihren Bedürfnissen entsprechen.

Wo liegen derzeit die größten Herausforderungen?

Prof. Kagermann: Neben der Elektromobilität mit Batterie und Brennstoffzelle wird der Mobilitätssektor durch die Digitalisierung und den Übergang zu vernetzten, lernenden und autonomen Systemen gefordert. Neue Technologien, neue Geschäftsmodelle, neue innovations- und finanzstarke Wettbewerber kommen hinzu und verändern den Markt. Wertschöpfungsketten müssen neu ausgerichtet und der damit einhergehende Beschäftigungswandel gestaltet werden. Hinzu kommt die Energiewende, die mit der Abkehr von den fossilen und dem Ausbau der erneuerbaren Energien einhergeht und in den Verkehrssektor hineinwirkt. Verkehrsträgerübergreifend betrachtet, spielen neben der zunehmenden Elektrifizierung der Antriebe deshalb strom- und biomassebasierten Kraftstoffen zukünftig eine wichtige Rolle. Mobilitäts- und Energiewende müssen zusammen gedacht und im Rahmen der Sektorkopplung gestaltet werden.

Die Transformation bietet die einmalige Chance, die Mobilität der Zukunft umfassender zu denken und mit den gesellschaftlichen Ansprüchen an Nachhaltigkeit, Sicherheit und Komfort in Einklang zu bringen. Um das große Potenzial neuer Technologien für die Transformation der Mobilität nutzen zu können, bleibt Technologieoffenheit als Rahmenbedingung für Forschung, Entwicklung und Demonstration oberstes Gebot.

Der Erfolg wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit neue Mobilitätsformen und -lösungen akzeptiert werden und den Lebenswirklichkeiten der Menschen und ihren Bedürfnissen entsprechen.

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