In einer Gesprächsrunde mit Dr. Joachim- Heinrich Stamer, Dr. Jürgen Stech, Rudolf Kastner und Horst Lindemuth gaben ehemalige Verantwortungsträger des Verbandes ihren ganz persönlichen Blick auf die Geschichte der Branche. Wieland Backes moderierte die Runde, in der über 300 Jahre Lebenserfahrung auf dem Podium des Festabends zusammenkamen.
Welche Funktion hatte der Verband in all
den Jahren: Interessensvertretung, Lobby
oder mehr?
Stech: Weniger eine Lobby. Die Verbände
sind seinerzeit entstanden, weil die Energieversorgung
punktuell entstanden ist und
in zunehmendem Maße die Notwendigkeit
gesehen wurde, sich gegenseitig zu unterstützen.
Aus der Tagesnotwendigkeit heraus
sind diese Verbände entstanden.
Kastner: Es gibt einen Unterschied in der
Interessensvertretung vor der Liberalisierung
und danach, als sich die Lobbyarbeit weiterentwickelt
hat. Es ist einfach notwendig,
dass wir unsere Interessen gegenüber der
Politik und anderen Verbänden klar zum
Ausdruck bringen.
Es sind drei Bereiche im VfEW – Strom, Gas und Wasser. Haben diese unterschiedliches Gewicht im Verband?
Lindemuth: Wenn man es in der Historie betrachtet, haben sich die ersten Verbände nur mit der Gasversorgung beschäftigt. Man wollte den Erfahrungsaustausch auf technischer Ebene, um einen Fehler, den der Nachbar möglicherweise schon begangen hatte, selbst zu vermeiden. Ende des 19. Jahrhunderts ist die Wasserversorgung dazugekommen, wo man im Grunde dieselben Arbeitstechniken hatte. Man hat sich beispielsweise darüber ausgetauscht, wie man Rohre vor Korrosionsschäden bewahren kann.
Stamer: Konkurrenz wäre nur zwischen Strom und Gas denkbar. Und das in erster Linie im Wärmemarkt. Die unterschiedlichen Energieträger haben ihren berechtigten Platz. Wasser ist ein für alle Bürger lebensnotwendiges Medium und steht ohnehin außer Konkurrenz.
Der mittlere Neckarraum ist ja nicht gerade
wasserreich ...
Stech: Gerade hier in Württemberg hatten
wir große Schwierigkeiten, das nötige
Grundwasser zu finden und zu fördern.
Die Technischen Werke Stuttgart haben die
Trinkwasserversorgung noch mit Neckarwasser
bestritten. Das ist heute unvorstellbar.
Wegen des fehlenden Grundwassers
gingen die Überlegungen schon lange zurück,
die Stadt aus dem Bodensee zu versorgen.
In den 50er Jahren wurde in meinem
Hause die Bodenseewasserversorgung
geplant
und in Betrieb genommen.
Was waren für Sie die größten Herausforderungen
in der Energiewirtschaft?
Stamer: Für mich war das die Zusammenschaltung
des östlichen Netzes mit
dem westlichen Netz. Zu der Zeit war ich
in Dresden für eine Beteiligungsgesellschaft
der damaligen Energieversorgung
Schwaben (EVS) tätig. Die Stadt gehörte
damals zu dem Ostblock-Synchrom-Gebiet.
Nach der Wiedervereinigung war es das
Bestreben, die Netzgebiete von Westeuropa
und Osteuropa zusammenzuschalten. Das
gelang dann in der ersten Hälfte der 90er
Jahre. Mit der Folge, dass die Versorgungssicherheit
im Osten deutlich verbessert
werden konnte.
Lindemuth: Als ich 1976 nach Baden-
Württemberg kam, gab es noch sehr viele
Werke, die keinen Erdgasanschluss hatten.
Man war darauf angewiesen, dass
Kohlezüge aus dem Ruhrgebiet kamen
und es war vielerorts einfach die Gewohnheit,
das Gas selber zu machen.
Die große Herausforderung
war, das
System ohne Versorgungsunterbrechungen
in Einklang
zu bringen. Letztendlich bekam der Kunde
heute Stadtgas und morgen Erdgas.
In dieser Zeit ist ja auch die Kernkraft relevant
geworden …
Stech: Ende der 50er haben wir überlegt,
ob wir uns am Demonstrations-Kernkraftwerk
Obrigheim beteiligen. Als junger Mann
wurde ich losgeschickt, um bei den Fraktionen
zu eruieren, wie die dazu stehen würden.
Eine besondere Leidenschaft für die
Kernenergie wurde von der SPD entwickelt.
Ich werde nie vergessen, wie der damalige
SPD-Oberbürgermeister von Mannheim
sagte: „Die SPD ist eine Partei, die die Zukunft
gestalten will, und hier sind wir genau
auf dem Wege, den wir brauchen.“ Bis Anfang
der 70er Jahre hatten wir eine ganz
andere Stimmung gegenüber der Kernkraft,
als heute.
Kastner: Man ist relativ unkritisch an die
Technologie rangegangen. Ich habe es weniger
als Euphorie wahrgenommen, mehr
als Stand der Technik. Die Kritik, die wir
heute haben, gab es damals nicht. Es war
ja auch damals politisch gewollt, als Abkopplung
vom Öl in Deutschland für die
Stromversorgung Kernkraftwerke aufzubauen.
Wir haben damals in der schwierigen
Phase nach dem Unglück von Fukushima
seitens des Verbandes die politische
Entscheidung vorweggenommen und für
diese Festlegung plädiert. Es war richtig,
den Weg zu gehen. Die Komplexität der
Technik ist kaum zu beherrschen und auch
nicht die Entsorgung.
Ein ganz entscheidender Punkt war in dieser
Zeit der letzten Jahrzehnte die Marktliberalisierung.
Wie haben Sie die begleitet?
Stamer: Es war diskussionsaufwändig, die
Mitgliedsunternehmen des Verbandes davon
zu überzeugen, dass jetzt eine neue
Welt begonnen hat. Wenn das Monopol in
Frage gestellt wird, ist das für den Inhaber
des Monopols nicht immer schön. Aber die
Marktliberalisierung
hat auch Chancen geboten.
Es war für die Branche eine positive
Erkenntnis, dass die Rechte der Kunden
gewachsen sind und man damit mit den
Kunden in eine neue Diskussion kam.
Stech: Ich habe bis heute nicht verstanden,
wieso man mehr Wettbewerb dadurch
schaffen wollte, dass man die Unternehmen
auf vier große Unternehmen in Deutschland
konzentriert hat. Durch die Konzentration
stoßen wir heute immer wieder auf Probleme,
die wir vor der Liberalisierung nicht
hatten.
Kastner: Es gab 1998 natürlich viele Chancen.
Allerdings hat die Marktliberalisierung
auch hochkomplexe Verarbeitungssysteme
mit sich gebracht. Wir haben riesige Investitionen
getätigt, um dieses System aufrecht
zu erhalten. Für die Kunden war die Liberalisierung
möglicherweise gut – wobei wir
den Saldo nicht haben, was die Margenverringerung
auf der einen Seite und die Erhöhung
der Steuern und Abgaben auf der anderen
Seite für den Kunden am Ende des
Tages an Ersparnis gebracht hat.
Wir stecken im Augenblick in einem sehr
fundamentalen Wandelprozess – der Energiewende.
Würden Sie da heute gerne mitmachen?
Lindemuth: In der Zeit, in
der ich im Geschäft gewesen
bin, waren die Verhältnisse
überschaubarer.
Ob die Komplexität, die
wir heute haben, zu einer
Beruhigung des Geschäfts
führt und der Kunde letztendlich
zufrieden ist, bezweifle
ich. Dieses Nachjagen nach billigen
Stromtarifen,
das ist nicht mein Naturell.
Stamer: Durch die Energiewende sind wieder
monopolartige Strukturen hinzugekommen,
durch den Vorrang der Erneuerbaren
Energien. Den Gesetzesrahmen, wie die
Erneuerbaren Energien integriert werden,
kann man durchaus hinterfragen.
Stech: Ich wäre mit Leidenschaft dabei. Ich
bin der Auffassung, dass vieles dazu gesagt
werden müsste, was leider untergeht.
Beispielsweise die Tatsache, dass nachts
keine Sonne scheint und der Wind eben
auch nicht stetig da ist. Das heißt, dass wir
mit Photovoltaik oder Wind etwa nur ganz
grob zwei Drittel der Zeit abdecken können,
in der wir Strom brauchen. Die Frage, wie
wir das letzte Drittel abdecken sollen, ist
heftig umstritten. Wir versuchen jetzt, uns
darüber hinwegzutäuschen, indem wir teilweise
den Strom aus dem Ausland beziehen
und alte Kraftwerke gegen Subventionen
betriebsbereit halten als Reserve.
Kastner: Wir stehen heute ja vor ganz
anderen Herausforderungen. Es geht ja
heute nicht nur um Strom, wenn es um
Verminderungen der CO2-Emmissionen
geht, sondern auch um den Verkehr und
um Wärmekonzepte.